Geburten rund um die Uhr
Wir versuchen immer, möglichst viel zu kontrollieren. Aber in manchen Dingen hat die Natur ihren eigenen Rhythmus. Bei natürlichen Geburten ist das der Fall – der Nachwuchs kommt, wann er es für richtig hält. Bei der Erstversorgung unserer Kälber bringt das oft ein Problem mit sich. Denn wenn sie mitten in der Nacht zur Welt kommen, dann ist eine ausreichende Versorgung mit Kolostrum nicht sichergestellt, vor allem bei Färsen. Und genau hier liegt eins der größten Probleme in der Kälberaufzucht – denn das beeinflusst die Gesundheit der Kälber und damit auch Arbeitsaufwand und Aufzuchtkosten.
Nicht oft genug
Die ausreichende Versorgung mit gutem Kolostrum ist der Dreh- und Angelpunkt für eine gesunde Kälberaufzucht. Das sollte eigentlich inzwischen hinreichend bekannt sein. Auf den Betrieben wird es dennoch nicht überall umgesetzt. Ein Praxistest zeigt: Noch immer hat jedes vierte Kalb eine Unterversorgung mit Immunglobulinen. Und das ist oft eine Frage des Managements. Die Folgen sind weitreichend: Ein unterversorgtes Kalb wird schneller krank und in der ersten Laktation sind 500 – 1000 kg Milch weniger im Tank.
Viele Faktoren
Wie gut oder schlecht das Kolostrum ist, hängt von ganz unterschiedlichen Parametern ab. Einige haben mehr Einfluss als andere. Dennoch lohnt sich eine ganzheitliche Betrachtung für den eigenen Betrieb. Jeder arbeitet anders und vielleicht sind hier noch einige Stellschrauben dabei, die sich einfach verändern lassen:
- Genetik
Nicht zu unterschätzen, denn die Gene des Kuhvaters beeinflussen die Kolostrumqualität und die der Kuhmutter die Kolostrummenge. Hier ist Denken in Generationen gefragt. - Eutergesundheit
Stichpunkt somatische Zellen – also die Zellzahl der Milch – je höher der Wert, desto schlechter ist die Qualität des folgenden Kolostrums. - Kondition
Die Kuh sollte vor der Kalbung eine gute Körperkondition haben. Je besser sie dasteht, desto höher ist die Qualität der Biestmilch. Achtung: Eine Verfettung ist jedoch dringend zu vermeiden, dadurch kann der Gehalt an Immunglobulin G (IgG) im Kolostrum sinken. Optimal ist ein BCI zwischen 3 und 3,5. - Trockenstehzeit
Hier werden rund 8 Wochen empfohlen. Auch wenn die Länge wenig Einfluss auf die IgG-Konzentration im Kolostrum hat, so ist doch ein positiver Einfluss auf die Milchmenge zu beobachten. - Zeit
Nach der Kalbung nimmt die IgG-Konzentration im Kolostrum mit jeder Stunde ab. Das ist unter anderem mit dem Verdünnungseffekt zu erklären: Der IgG-Gehalt bleibt zwar gleich, aber der Milchgehalt nimmt zu. Das bedeutet, die Milch sorgt für eine Verdünnung der IgG-Konzentration. Daher gilt: Möglichst schnell das Kolostrum melken und dem Kalb geben. - Hygiene
Die Keimzahl im Kolostrum sollte unter 100.000 KBE/ml liegen, sonst kann es zu heftigem Frühdurchfall kommen. Bei Hygiene-Problemen kann Pasteurisieren eine sinnvolle Maßnahme sein
Qualität?
Am schnellsten und einfachsten lässt sich die Kolostrumqualität mit einem Refraktometer bestimmen. Dazu benötigt man nur ein paar Tropfen der Biestmilch und schon hat man auf einen Blick den sogenannten BRIX-Wert, der die Dichte der Flüssigkeit angibt. Damit lässt sich umgehend der IgG-Gehalt ablesen. Dabei gelten folgende Abstufungen:
BRIX (%) | IgG-Gehalt (g/l) | Kolostrumqualität |
< 20 | < 25 | schlecht |
20 – 21,9 | 25 – 49,9 | mäßig |
22 | 50 | gut bis sehr gut |
Und das Kalb?
Hier gilt: So früh und so viel wie möglich bei einem Richtwert von 4 l. Eine andere Faustformel besagt: 10 % des Körpergewichtes an Kolostrum in den ersten beiden Lebensstunden. Direkt nach der Geburt ist die Blut-Darm-Schranke noch weit geöffnet und die Immunglobuline können ungehindert dorthin gelangen, wo sie hinsollen: ins Blut. Mit jeder Lebensstunde schließt sich die Schranke aber immer weiter und das hat zur Folge, dass die Immunglobuline immer schwerer und bereits nach 24 Stunden kaum noch ins Blut gelangen können. Um sicher zu gehen, kann der BRIX-Wert im Blutserum der Kälber überprüft werden. Das Ziel ist ein Gehalt von mindestens 8,5 % nach 24 – 48 Stunden.
Und der Mensch?
Es gibt immer viel zu tun. Wenn dann auch noch die Kalbezeit losgeht, dann ist die Motivation für eine nächtliche Stallkontrolle eher gering. Schlaf ist meist sowieso schon Mangelware. Aber: Kranke und vielleicht sogar sterbende Tiere bringen noch mehr Arbeit und belasten emotional. Wer auf eine gute und schnelle Kolostrumversorgung achtet, der kann dem entgegenwirken.
Wer es schafft, seine Kälber auch in der Nacht in Empfang zu nehmen, der hat so die Möglichkeit, spätere Zusatzarbeit und Kosten durch kranke Kälber zu verringern oder vermeiden. Dabei gilt: Vorbereitung ist alles und wenn eine neue Routine im Team erstmal eingespielt ist, dann kann das ein richtiger Pluspunkt sein.