Ketosebehandlung mit Rotwein?
In Fachzeitschriften kann man ab und zu lesen, was auf Kongressen weltweit zum Thema Rindergesundheit von Fachleuten diskutiert wird. Es ergibt sich daraus eine Art von „Schwarm-intelligenz“, Praxis-Erfahrungen und aktuelle Forschungsergebnisse kommen zusammen. Tierärzte aus den USA haben z. B. berichtet, dass Mehrkalbskühe mit subklinischer Ketose durch 4 Liter Rotwein an den ersten 3 Tagen nach der Kalbung erfolgreich behandelt werden konnten. Wie bitte? Wie geht das denn?
Hungerstoffwechsel
Immer wieder versuchen wir Menschen mit einer „ketogenen“ Ernährung Fettpolster loszuwerden. Das Prinzip dieser Diät: die Zufuhr von Kohlehydraten jeglicher Form wird gedrosselt, dafür werden fettreiche Nahrungsmittel gegessen. Der Körper, der bisher seine Energie hauptsächlich aus Kohlehydraten gewonnen hat, stellt auf Fettverbrennung um und bildet dafür Ketonkörper aus seinen Fettreserven. Das ist der sogenannte „Hungerstoffwechsel“, durch den Menschen und Tiere Zeiten mit Dürre und Hungersnöten überstehen.
Reserven anlegen
Säugetiere (inklusive Mensch) nehmen in der Trächtigkeit zu und bauen Fettreserven auf, damit später genug Milch für das Jungtier gebildet werden kann (Trächtigkeitsanabolismus). Bei unseren Milchkühen funktioniert dieser Mechanismus ebenfalls. Gut so, denn nach der Kalbung steigt die Milchleistung auf ein Niveau, das sich oft mit der täglichen Futterration energetisch nicht ausgleichen lässt. Wir sollten unsere Milchkühe jedoch davor bewahren, zu sehr in eine ketonischer Stoffwechsellage zu geraten. Dafür gibt es mehrere Gründe.
Fett abbauen mit Risiko
Erstens dienen Fettdepots nicht nur als Nahrungsreserve. Sie sind für den Körper auch eine Möglichkeit, fettlösliche Gifte loszuwerden. Wird in großem Maße Fett abgebaut, gelangen diese Giftstoffe vermehrt ins Blut und belasten das Entgiftungsorgan, die Leber. Zweitens führt ein stürmischer Fettabbau zu einer überhöhten Anzahl Ketonkörper, die ebenfalls in der Leber verarbeitet werden müssen. Die Überlastung der Leber lässt sich an den bekannten Stoffwechselparametern im Blut ablesen (NEFA = freie Fettsäuren, BHB = Ketonkörper).
„Volkskrankheit“ Ketose
Fachleute schätzen, dass 20 bis 40 % der Kühe in den ersten Monaten nach der Kalbung eine leichte Ketose zeigen, 10 bis 15 % eine schwere. Spanische Tierärzte untersuchten 12.500 Färsen und fanden 23 % der Tiere mit zu hohen BHB-Werten. Die Folge: diese Tiere gaben in der 1. Laktation 350 kg weniger Milch. Gerade Färsen, die selber noch wachsen und in der Herde oft nicht in Ruhe fressen können, leiden unter Energiemangel. Problematisch wird es im Sommer, wenn hohe Temperaturen die Fresslaune zusätzlich senken. Dann haben auch ältere Kühe eine geringere Futteraufnahme. Achten Sie unbedingt ganzjährig auf saubere, gut funktionierende Tränken! Das ist die Grundvoraussetzung für eine hohe Futteraufnahme.
Glukose wird zu Laktose
Mit dem Einsetzen der Milch steigt der Glukosebedarf an. Denn je Liter Milch werden daraus im Euter konstant 46 bis 50 g Laktose produziert. Bei einer Kuh, die 40 Liter Milch gibt, sind das mal eben knapp 2 kg Laktose. Kann die Leber nicht genug Glukose dafür zur Verfügung stellen, gibt die Kuh weniger Milch und startet die Fettmobilisierung. Dieser Prozess beginnt allerdings schon in der Woche vor der Kalbung.
Wehret den Anfängen
Das Kalb braucht sehr viel Energie und die Kuh frisst weniger, weil das Kalb so viel Platz einnimmt. Wer dann den Pansen schon auf den bevorstehenden Futterwechsel vorbereitet hat durch Anfütterung und/oder Einsatz von Lebendhefen, hilft dem Tier, eine hohe Futteraufnahme beizubehalten. Schmackhaftes, hochwertiges Grundfutter und häufige Vorlage einer energiereichen Ration sind weitere Punkte auf dem Weg zu einem guten Start in die Laktation. Achtung: Die Körperkondition muss passen! Fette Kühe haben ein erhöhtes Risiko für Ketose. In der Regel werden die Kühe aber nicht in den letzten beiden Wochen vor der Kalbung fett, sondern im letzten Drittel der Laktation.
Was ist nun mit Rotwein?
Die übliche Gabe von 300 ml Propylenglykol täglich ist fast das Selbe, denn Propylenglykol ist ein mehrwertiger Alkohol mit 16,8 MJ NEL. Alkohole werden von der Leber in Windeseile verstoffwechselt. Der Rotwein besitzt darüber hinaus entgiftende Tannine und entzündungshemmende Polyphenole, die u. U. die positive Wirkung zumindest unterstützen. Trotzdem, dieser Text soll nicht mit einer Empfehlung zur Gabe von Rotwein enden. Das ist teuer und Rotwein steht nicht auf der Positivliste für Futtermittel. Wichtiger ist die Vorbeuge einer Ketose durch gute Futteraufnahme und Körperkondition in der Transitphase. Für schwere Fälle kann man immer noch zu Propylenglykol greifen, allerdings nur bei der Kuh.
Für Menschen ist Propylenglykol giftig, Rotwein jedoch in Maßen angewendet ein Genuss. Prost!