Hitzestress – Schweiß lass nach!

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Hitzeperioden sind eine Herausforderung für alle

Schweine schwitzen am Rüssel und Hunde an den Pfoten. Zum Abkühlen müssen sie sich einen schattigen Platz suchen, bestenfalls im Schlamm oder auf einer schattigen Fliese. Kühe können schwitzen – wir nehmen wahr, dass sie ein feuchtes Fell haben. Aber das reicht bei Weitem nicht aus. Sind Temperatur und Luftfeuchtigkeit hoch, stehen sie mit offenem Maul im Stall und hecheln, ähnlich wie ein Hund. Parallel sinken Futteraufnahme, Wiederkauen und Milchbildung. Das sind die äußerlichen Merkmale von Hitzestress und die sollten uns zu denken geben. Denn im Organismus Kuh passiert noch viel mehr.

Sensible Tage

2019 wurde eine Studie veröffentlicht, in der Daten von mehr als 22.000 kalbenden Kühen auf das Vorkommen von Nachgeburtsverhaltung und anderen geburtsnahen Problemen analysiert wurden. Besonders wenn der Hitzestress in den ersten 5 Tagen nach der Kalbung auftrat, nahmen die Gesundheitsstörungen linear zum THI (Temperatur-Luftfeuchtigkeits-Index) zu. Weitere Studien zu Auftreten und Schwere speziell von Gebärmutterentzündungen ergaben sogar einen generellen linearen Zusammenhang mit dem THI.

Fall 1: Immunsystem

Viele Betriebe haben das schon erlebt: den hohen Temperaturen folgt ein Anstieg der Zellzahlen. Das liegt nicht nur an der gesteigerten Aktivität der Umweltkeime, sondern an den negativen Einflüssen auf die Immunabwehr. Die „Ordnungshüter“ (Makrophagen) des Immunsystems erkennen eine Fremdsubstanz und schalten normalerweise das „SEK“ (Fresszellen, Leukozyten) ein. Diese Spezialeinheiten bekämpfen die Erreger und machen sie unschädlich. Bei Hitzestress ist die gesamte Mannschaft jedoch schlapp. Es werden weniger Fresszellen aktiviert, die Erreger können ungehindert in Gewebe und Organe eindringen.

Tatort: Euter

Das erste Opfer der Angreifer ist oft das Euter. Milch ist ein gutes Nährmedium und der Strichkanal ist mindestens 2 x täglich ein offener Tunnel für Erreger aller Art. Außerdem kommt das Euter mit beso­nders vielen Keimen unterschiedlicher Herkunft in Kontakt (Box & Melkmaschine).

Fall 2: Hormone

Hormone (Botenstoffe) regulieren viele Körperfunktionen. Erst 1901 wurde übrigens das erste von Ihnen entdeckt: das Adrenalin. Sie werden von ihrem Entstehungsort (z. B. Schilddrüse, Eierstock) an das Blut abgegeben und lösen nach dem Andocken am „Ziel“ spezifische Reaktionen aus. Unter Hitzestress sinkt die Ausschüttung sämtlicher Fortpflanzungshormone, Prozesse geraten durcheinander. Dazu zählen u. a. Östrogen, Progesterol und Prostaglandin.

Tatort: Uterus

Ohne die nötige Ansteuerung durch „Anweiser“ (Botenstoffe) kommen weniger Follikel zur Reifung, die befruchteten Eier gar nicht erst in der Gebärmutter an oder sie nisten sich nicht in der Gebärmutterwand ein. Selbst wer es geschafft hat, den richtigen Besamungszeitpunkt bei den durch die Wärme träge agierenden Kühen zu erkennen, muss also mit erhöhten Embryoverlusten leben. Kommt der Hitzeeinfluss während der frühen Trächtigkeit vor, hat das nicht nur einen negativen Einfluss auf das Muttertier. Wenn die Temperaturen steigen, wird der Blutfluss an die Hautoberfläche gelenkt, damit mehr Wärme abgegeben werden kann. Dadurch wird aber der Fötus schlechter versorgt. Auch wenn ein Kalb quasi ohne eigenes Immunsystem geboren wird, die nötigen Organe für den Aufbau des späteren Immunsystems entstehen in den ersten 60 Tagen nach Beginn der Trächtigkeit!

Fall 3: Zusammenhang

Zu allem Überfluss haben einige Hormone auch einen Einfluss auf die körpereigene Abwehr. Östrogen z. B. interagiert mit den Immunzellen, indem es ihre Funktion aktiviert und sie dazu ermutigt, einen guten Job zu machen. Weniger Östrogen durch Hitzestress bedeutet: die Immunreaktion sinkt. Das Milchbildungshormon Prolaktin und natürlich das Stresshormon Cortisol, welches bei Hitze vermehrt ausgeschüttet wird, haben ebenfalls eine dämpfende Wirkung auf das Immunsystem. Und damit wären wir wieder bei Fall 1.

Abhilfe schaffen – aber wie?

Schatten und alle stalltechnischen Maßnahmen, die zur Kühlung beitragen, haben also auf jeden Fall eine Berechtigung. In diversen Studien wurden hitzegestresste mit „gekühlten“ Tiergruppen verglichen und ein Effekt war in der Regel deutlich zu sehen, quasi bis in Blut und Gewebe hinein. Maßnahmen gegen Stress können auch über die Fütterung in das Tier gebracht werden: Durch das Schwitzen werden neben Wasser vermehrt Mineralien ausgeschieden. Der Verlust sollte natürlich ausgeglichen werden. Darum: Mineralfutter erhöhen und Wasserquellen sauber halten. Radikalfänger schützen die Tiergesundheit, Lebendhefen sorgen dafür, dass die Futteraufnahme aufrecht erhalten bleibt und die Tiere besser mit der Hitze zurechtkommen. Die Kombination aus mehreren Maßnahmen, „äußerlich“ und „innerlich“, ist sicher die beste Option, die Herde gut durch den Sommer zu führen.

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Anne Cordes

Anne hat ein abgeschlossenen Studium zur Agr.-Ing. (FH) von der FH Kiel und 14 Jahre Praxiserfahrung auf einem Milchviehbetrieb. Sie ist seit über 18 Jahren Teil der jbs Familie. Momentan betreut sie den Bereich Qualitätsmanagement und ist spezialisiert auf Milchvieh und Silagemangement.

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